Vor Paris nichts Neues.

Eine heitere Kriegs-Erinnerung von H.Ferschke
in: „Freie Presse für Texas” vom 29.10.1890


Es war vor Paris. Die zahlreichen wüthenden und blutigen Ausfallgefechte hatten nachgelassen. Die Franzosen hatten eingesehen, daß sie die sie umgebende Mauer nicht zu durchbrechen im Stande seien, während man unsererseits freilich auch zu der Erkenntniß kam, daß Paris ohne Bombardement nicht zur Kapitulation gezwungen werden könne. Letzteres begann dann auch am 26. December und es trat nun für die Belagerungstruppen eine Zeit der Ruhe ein, welche durch die historisch gewordenen Telegramme gekennzeichnet wurde: „Vor Paris nichts Neues. Podbielski.”

In Montesson, St. Germain, lag ein Bataillon Infanterie, eine Schwadron Dragoner und die Feldbäckerei-Kolonne eines Armeekorps im engen Kantonnement. Kommandeur des Infantgerie-Bataillons war Hauptmann von Ollenberg, welcher als ältester Offizier im Orte gleichzeitig Kantonnemenst-Aeltester und Platzkommandant war. Die Dragoner-Schwadron, deren Chef in einem früheren Gefecht schwer verwundet worden war, führte ein Premier-Lieutenant der Reserve, Namens Gundermann, und die Feldbäckerei-Kolonne hatte den Premier-Lieutenant Sachße zum Chef. Diese drei waren die Korona im Orte und hatten sich eng aneinander angeschlossen, denn das Nest war langweilig und der Dienst fing, wie schon gesagt, an, ebenfalls eintönig zu werden, wie das letzte Telegramm bestätigte — „Vor Paris nichts Neues!”

Unsere drei Truppenchefs bewohnten, wie sich das vor Paris ganz von selbst verstand, jeder eine von ihren Besitzern verlassene Villa und hatten es sich darin so bequem wie möglich gemacht, das heißt, sie hatten ihre Burschen und Pferde in den Salons des Parterre untergebracht und bewohnten mit den Offizieren und Vice's ihres untergebenen Truppentheils die Belletage und befanden sich darin den Umständen nach ganz angemessen und behaglich.

Während nun Gundermann und Sachße in jugendlichem Leichtsinn ihre Tage dahinlebten und ihre Gedanken höchstens auf die möglichst beste Ernährung richteten, wobei es sich öfter allerdings um die Lösung manchen schweren Problems handelte, hatte Hauptmann von Ollenberg als Kommandant vom Platze es ungleich schwerer. Die Sorge um die Sicherheit des Ortes, welche ihm die beiden andern mit großartiger Vertrauensfreudigkeit überließen, war allein schon hinreichend, ihn ernster zu stimmen und seinem unbesiegbaren Humor einen Dämpfer aufzulegen, ganz alle aber war es damit, wenn sein unvermeidlicher Abendskat durch irgend etwas in Frage gestellt wurde. Als leidenschaftlicher Skatspieler waren ihm daher die Abend- und Nacht-Alarme ein Dorn im Auge, eine derartige Störung konnte ihn geradezu wüthend machen, außer sich aber konnte er werden, wenn ihn ein blinder Alarm, wie das ja im Kriege oft vorkommt, vom Skattisch fortrief. Ja, am Tage wollte er kämpfen bis in den Tod, aber das Abends sollten die Franzosen Ruhe halten — das war seine oft ausgesprochene Ansicht.

Und er hatte gekämpft wie nur einer, das eiserne Kreuz erster Klasse, das seine Brust bereits zierte, bewies das, und nun war einige Ruhe eingetreten — „Vor Paris nichts Neues!” — nun konnte man sich erholen und des Abends in Gemüthlichkeit seinen Skat spielen.

Himmeldonnerwetter, Heinrich, rief Hauptmann von Ollenberg seinem Burschen zu, wo stecken die Premierlieutenants Gundermann und Sachße heute? Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen die Herren zum Skat einladen; 's ist doch Ruhe draußen, weshalb kommen sie nicht?

Verzeihen der Herr Hauptmann, rapportirte Heinrich, der Bursche, der Herr Lieutenant Gundermann läßt sagen, er habe erst noch Pferdebesichtigung, und der Herr Lieutenant Sachße läßt vor der Mairie langsamen Schritt üben.

Was läßt er üben? rief der Hauptmann erstaunt.

Langsamen Schritt, Herr Hauptmann.

Na, da schlage der Deibel drein, schrie der Hauptmann, nun läßt der die krummbeinigen Bäcker im Schnee abrichten; möchte wohl wissen, was das zu bedeuten hat

Man spricht davon, daß die Franzosen wieder einen großen Ausfall machen wollen, Herr Hauptmann; ich habe unsere Koffer schon gepackt, berichtete der Bursche.

Dummes Zeug! rief der Hauptmann, Ausfall machen — die Kerle haben genug — werden sich hüten . . . . . Und dann, was hat der langsame Schritt der X-beinigen Bäcker mit einem Ausfall zun thun? . . . . . Ist der Glühwein aufgesetzt?

Zu befehlen, Herr Hauptmann,

Dann gehen Sie nochmals hin und berichten Sie das den Herren — ich ließe sehr bitte! Hol der Deibel Pferdebesichtigung und langsamen Schritt!

Endlich erscheinen bei einbrechender Dunkelheit die beiden längst erwarteten Kameraden und werden natürlich von dem spiellustigen Hauptmann mit einem Platzregen von Vorwürfen empfangen, dem sie lachend und protestierend Stand halten.

Pferdebesichtigung! rief er. Na ja, ich gebe zu, daß dergleichen nöthig, aber weshalb zum Geier, machen Sie das nicht vorher ab? Und nun gar langsamer Schritt! Plagt Sie denn geradezu der Deibel, Ihre Mehlkneter mit ihren X-Beinen auf offener Straße zu blamiren! Das sollte die Welt wissen und ich habe ernstlich die Absicht, Éxcellenz Pdbielski zu bitten, mal hinaustelegraphieren zu lassen: Vor Paris das Neueste: die Bäcker üben langsamen Schritt!

Wie kann ich denn Vormittag die Pferde besichtigen, vertheidigte sich der Dragoner-Anführer, da haben wir ja Skat gespielt.

Und ich erwarte alle Tage eine Inspizierung, lachte der Bäckerei-Kolonnen-Führer. Uebrigens wird wieder ein Ausfall erwartet, setzte er hinzu.

Nur heute nicht mehr, wenn ich bitten darf, sagte der Hauptmann. Das fehlte gerade . . . . . famose Glühweinbowle auf dem Feuer . . . . . wird urgemüthlich werden . . . . . Apropos, Feuer . . . . . habe drüben die alten Schränke entdeckt, brennen famos . . . . . aber nun an die Arbeit! Heinrich, einschenken!

Und so saßen sie denn und mauerten und tranken dazu den vortrefflichen Glühwein und fühlten sich so wohl und behaglich, als säßen sie nicht wenige Kilometer vor dem Feind, sondern daheim im traulichen Gesellschaftszimmer zur Seite des wärmenden Ofens. Und es verrann Stunde auf Stunde — Herr von Ollendorf hatte die Vorhand . . . . . ein Blick in die Karten, er schmunzelt.

„Grand — schwarz!” ruft er und verdutzt blicken die Gegner einander an.

Kolossales Schwein! ruft Gundermann, der heute noch kaum ein kleines Spiel bekommen hatte.

Da kommt Heinrich, der Bursche, eilig herein und meldet: Herr Hauptmann, bei den Vorposten wird geschossen — der Ausfall —

Hol der Deibel den Ausfall! schreit entrüstet der Hauptmann, so ein Spiel bekomme ich zeitlebens nicht wieder. Laufen Sie auf die Dorfstraße und bringen Sie den Befehl zum Alarmieren.

Hauptmann von Ollendorf war nicht nur ein eifriger Skatspieler, sondern auch ein tüchtiger Soldat, der überall, wo er stand, seinen Posten ausfüllte. Während im Dorfe die Trommeln rasselten und die Trompeten schmetterten, schwang er sich aufs Pferd und in kürzester Frist stand er an der Spitze seines Bataiilons, jeden Augenblick bereit, gegen den Feind zu marschieren. Unweit davon stand die Dragoner-Schwadron und weiterhin die Bäckerei-Kolonne — und darüber stand der Mond am wolkenlosen Himmel und beschien die schlagfertigen Truppen, die an dergleichen nächtliche Alarme bereits gewöhnt, auf ihre Führer blickten und die nöthigen Befehle erwarteten.

Die Führer aber waren selbst noch keineswegs darüber einig, was zu geschehen habe, sie ritten gegen die Dorflisiere vor, horchten in die Nacht hinaus, aber es blieb alles still und nur weit vorn bei den Vorposten schien dann und wann ein Schuß zu fallen, was von keinerlei Bedeutung war.

Hauptmann von Ollendorf schüttelte den Kopf, und seine Stirn furchte sich mehr und mehr. Ein nächtlicher Alarm ist im Kriegsleben immer eine recht unerwünschte Sache; der Soldat wird aus der nöthigen Ruhe gerissen, taumelt in die Höhe und verliert dabei oft die Besonnenheit, schlief er nicht, sondern kochte er sein Abendessen, so, ist er gezwungen, den Inhalt seines Kochgeschirres auszuschütten und dasselbe heiß und rußig, wie es ist, aufzuschnallen, ihm nützliche und oft unentbehrliche Gegenstände werden in der Eile vergessen oder zerbrochen — kurzum, es ist eine fatale Situation, die keineswegs rosige Laune erzeugt. Ist nun der Feind wirklich da und geht es zum Gefecht vor, so versöhnt man sich freilich leicht damit, dann war der Alarm nöthig, und man freut sich, daß man rechtzeitig auf dem Platze war, um den heimlich geplanten Angriff zurückzuweisen.

Anders aber gestaltet sich die Stimmung, wenn ein sogenannter blinder Lärm die Kochenden stört, die Schlafenden emporrüttelt und die Gemüthlichen herausreißt, wenn alles erwartungsvoll dasteht und des Befehls harrt und schließlich wieder eingerückt wird. Dann wird allgemein geschimpft und geflucht, und wehe, wenn der unglückliche Anstifter dieses blinden Lärmes abgefaßt wird!

„Es scheint faktisch alles ruhig zu sein, Herr Hauptmann,” bemerkte Premierlieutenant Gundermann, „war wieder 'mal blinder Lärm.”

„Sie sprechen ein großes Wort gelassen aus, Verehrtester,” knurrte der Hauptmann, „wir können aber hier nicht die ganze Nacht stehen und warten; haben Sie mal die Güte und schicken Sie eine Dragoner-Patrouille ins nächste Dorf vor und lassen Sie da anfragen, was denn eigentlich los ist.”

Dieser Befehl wurde denn auch sofort ausgeführt; drei Dragoner setzten sich gegen das Vorterrain in Trab und verschwanden sehr bald in Nebel und Mondschein, während die Zurückbleibenden zu ihren Leuten zurückritten und sich die Zeit mit keineswegs erbaulichen Gesprächen vertrieben.

Endlich kehrte die ausgesandte Patrouille zurück und der führende Gefreite ritt an den Hauptmann von Ollendorf heran, um seine Meldung abzustatten.

Nun, Gefreiter, was läßt mir der Herr Oberst von Heiberg sagen? fragte der Hauptmann.

Ich soll melden: Vor Paris nicht Neues! rapportirte der Gefreite, machte jedoch dabei ein äußerst pfiffiges Gesicht, so daß der Hauptmann ihn weiter fragte:

Hat der Herr Oberst vielleicht sonst noch etwas gesagt?

Ja, der Herr Oberst sagten, ich solle melden: Vor Paris nicht Neues! und dann setzte er hinzu: Da hat wieder mal ein Rindvieh blinden Lärm angeschlagen.

Sehr richtig! rief der Hauptmann lachend. Ich sagte es ja, der Herr Oberst ist stets so allgemein verständlich, daß von Zweifeln und Mißverständnissen nie die Rede sein kann. Und so hoffe ich denn auch, wandte er sich an die an der Spitze des Bataillons stehenden Spielleute, die schon längst ihren beliebten Führer angeblickt hatten, daß auch Ihr nicht zweifelhaft sein werdet, daß Ihr die Rindviecher seid, welche den blinden Lärm angeschlagen haben . . . . . Einrücken!

Lachend und laut disputirend gingen die Truppen auseinander und suchten ihre Quartiere auf, während die Offiziere noch zurückblieben und ihren Kommandeur umstanden, der den Forteilenden lächelnd nachblickte.

Haben Sie nicht bemerkt, meine Herren, sagte er dann, wie die Kerle feixten und mich grinsend ansahen, als ich ihnen bemerkbar machte, daß sie die Rindviecher gewesen wären? Wissen Sie nicht, was die Kerls Mann für Mann dachten und nicht aussprachen?

Nun, was denn? fragte Sachße.

Diesmal warst Du das Rindvieh, lieber Hauptmann! . . . . . womit ich mich den Herren bestens empfehle, da ich nicht zu widersprechen wage.

Damit gab der Hauptmann seinem Pferde die Sporen und galoppierte seiner Villa zu.

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